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02/02/2023
Chancenkarte gegen Fachkräftemangel
02/02/2023
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Lösung für den Fachkräftemangel: Bringt die Chancenkarte mehr Einwanderung?

Der deutsche Arbeitsmarkt hat ein Problem. Ein 3,9 Millionen Menschen schweres Problem. So viele Arbeitskräfte sollen dem Arbeitsmarkt nämlich schon bis zum Jahr 2030 fehlen. Grund dafür: der demografische Wandel in Deutschland, der eine immer ältere Bevölkerung zur Folge hat. Entsprechend stehen weniger Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.

Hier sind Lösungen gefragt, die schnell und nachhaltig greifen. Denn schon heute leiden viele Branchen unter einem eklatanten Fachkräftemangel. Die Bundesregierung setzt auf einen Mix aus vielen Maßnahmen. Ein vielversprechender Ansatz ist die Gewinnung von Arbeitskräften aus anderen Ländern.

400.000 Einwanderer pro Jahr als Lösung?

Aktuellen Berechnungen des IAB zufolge soll ein Wanderungssaldo von etwa 400.000 Personen pro Jahr den deutschen Arbeitsmarkt stabilisieren. Wanderungssaldo bedeutet: Berücksichtigt man, dass viele Einwanderer Deutschland wieder verlassen, müssten jährlich sogar um ein Vielfaches mehr Menschen nach Deutschland kommen.

Der Vergleich mit den aktuellen Zahlen sorgt jedoch für Ernüchterung: Der Fachkräftemigrationsmonitor der Bertelsmann-Stiftung weist für 2021 40.400 Einwanderer aus Drittländern aus. Hinzu kommen 468.000 Menschen aus dem EU-Ausland. Der Knackpunkt ist jedoch: Es ist unklar, wie viele der EU-Einwanderer tatsächlich wegen der Arbeit nach Deutschland kommen.

Viele der umliegenden EU-Länder haben mit vergleichbaren Problemen auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen. Ähnlich hoch wie in Deutschland ist der Fachkräftemangel in der Industrie in Slowenien, den Niederlanden, Ungarn oder Polen. Im Dienstleistungssektor gestaltet sich der Arbeitsmarkt in Malta, den Niederlanden und Schweden noch schwieriger als in Deutschland. Und im Bausektor nimmt Deutschland sogar nur den 16. Platz ein – die meisten anderen Länder trifft der Handwerkermangel also noch härter.

Daraus schlussfolgert die deutsche Bundesregierung, dass der Fokus nicht auf EU-Einwanderern ruhen sollte, sondern mehr auf Arbeitskräften aus Drittländern.

Wie die Politik reagiert: Erleichterungen für die Einreise

Dank der europäischen Freizügigkeit ist es für EU-Ausländer ohnehin sehr einfach, in Deutschland eine Arbeit aufzunehmen. Anders sieht es hingegen für Staatsangehörige aus Drittländern aus. Sie müssen bis dato strenge Voraussetzungen erfüllen, um überhaupt einreisen und arbeiten zu dürfen. Die Bundesregierung arbeitet nun daran, diese Hindernisse abzubauen.

Eine Maßnahme hierfür ist das aktuell als Gesetzentwurf vorliegende „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“. Das geplante Gesetz soll die Einreisebedingungen entschärfen und ausländischen Talenten so Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt gewähren. Dazu wird mittels einer sogenannten Chancenkarte eine neue Form des Aufenthaltstitels geschaffen, der Menschen aus Drittstaaten den Aufenthalt zunächst ohne Arbeitsvertrag in Deutschland ermöglicht. Hierfür müssen sie nach einem bestimmten Punktesystem eine Mindestpunktzahl erreichen.

Voraussetzungen für die Chancenkarte: So sammeln Kandidaten Punkte

Der Gesetzentwurf sieht zwei Voraussetzungen für die Einreise mit der Chancenkarte vor. Zum einen müssen Ausländer „hinreichende Sprachkenntnisse“ nachweisen. Zum anderen müssen sie mindestens sechs Punkte nach dem folgenden Schema erreichen:

PunkteBedingung
4 PunkteEin in Deutschland zumindest teilweise anerkennungsfähiger Berufsabschluss (auch wenn noch Nachqualifikationen nötig sind)
3 Punkte
  • Mindestens dreijährige Berufserfahrung
  • Gute deutsche Sprachkenntnisse
2 Punkte
  • Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse (B2-Level)
  • Mindestens zweijährige Berufserfahrung
  • Alter: 35 Jahre oder jünger
1 Punkt
  • Alter: 35 bis 39 Jahre
  • rechtmäßiger Aufenthalt in Deutschland von mindestens sechs Monaten in den vergangenen fünf Jahren
  • ein vorhandener Pate in Deutschland zur Begleitung auf dem Weg in die Arbeit

Erfüllen Ausländer die Voraussetzungen für den Erhalt der Chancenkarte, dürfen sie für die Dauer eines Jahres nach Deutschland einreisen und sich einen Job suchen. Dasselbe gilt, wenn sie einen in Deutschland anerkannten Berufsabschluss nachweisen können. Sie dürfen allerdings nur zur Probe arbeiten. Das bedeutet: entweder dauerhaft mit höchstens 20 Wochenstunden oder bis zu zwei Wochen ohne Begrenzung der Arbeitszeit. Voraussetzung ist, dass sie ihren Lebensunterhalt während ihres Aufenthalts aus eigener Kraft bestreiten können. Sobald der Einwanderer eine Vollzeitstelle gefunden hat, kann er einen längerfristigen Aufenthaltstitel beantragen.

Auswirkungen der Chancenkarte auf die Zuwanderung aus Drittstaaten

Zusätzlich zur Einführung der Chancenkarte plant die Bundesregierung die Erweiterung der sogenannten Westbalkanregelung. Sie gilt für Staatsangehörige der Westbalkanländer:

  • Albanien
  • Kosovo
  • Bosnien und Herzegowina
  • Republik Nordmazedonien
  • Montenegro
  • Serbien

Bis zu 50.000 Menschen sollen so pro Jahr einen erleichterten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen, wenn sie eine Arbeitsplatzzusage vorweisen können. Insgesamt erhofft sich die Bundesregierung durch beide Maßnahmen pro Jahr rund 65.000 mehr Einwanderer aus Drittländern als bisher.

Die Krux: die Weiter- und Rückwanderung

Ausländischer Arbeitskräfte nach Deutschland zu locken, ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, sie auch im Land zu halten. Und daran scheitert es in der Praxis nur allzu oft. Die Gründe dafür untersuchte eine Studie des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung e.V. (IAW) an der Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit dem Bielefelder SOKO Institut im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit. Diese Vorstudie zur Abwanderung von ausländischen Fachkräften zeigt die häufigsten Gründe:

 

  • aufenthaltsrechtliche Gründe (abgelaufener Aufenthaltstitel, Ausweisung)
  • Arbeitslosigkeit oder Ende der Beschäftigung
  • Beendigung von Ausbildung oder Studium
  • keine passende Beschäftigung
  • mangelnde Anerkennung des Berufsabschlusses
  • Beendigung einer Partnerschaft
  • Probleme mit dem Familiennachzug
  • zu teurer Wohnraum oder zu schlechte Wohnverhältnisse
  • zu hohe Lebenshaltungskosten
  • schlechtes Wohlbefinden
  • Diskriminierung
  • keinen Anschluss gefunden
  • Abschluss des Vermögensaufbaus

Besonders auffällig: Mehr als jeder zehnte Befragte gab an, die Rückkehr nach einer gewissen Zeit geplant zu haben. Es kommen also viele von vornherein mit dem Plan nach Deutschland, nicht auf Dauer zu bleiben.

Ausblick in die Zukunft: Hält die Chancenkarte, was sie verspricht?

Noch ist der Gesetzentwurf nicht verabschiedet. Dennoch verspricht die Chancenkarte, den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Staatsangehörige von Drittstaaten zu vereinfachen. Ob sich dies wirklich nennenswert auf die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte in Deutschland auswirken wird, hängt jedoch von ganz anderen Faktoren ab. Nämlich von den Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreift, um Zugewanderte in Deutschland zu halten. Dazu gehören etwa die bessere Zugänglichkeit von Deutschkursen, mehr Informationen zur Integration in das Alltagsleben, Informationsangebote sowie Transparenz zu den gegebenen Arbeitsbedingungen.

Arbeitgeber und Arbeitsmarktforscher sind skeptisch, ob die Chancenkarte zum Gamechanger werden kann. Sie kritisieren etwa das starre und eher komplizierte System der Punktevergabe, die Beibehaltung des Anerkennungsverfahrens für Berufsabschlüsse und anscheinend willkürlich gezogene Altersgrenzen.

Langfristig muss abgewartet werden, was die Bundesregierung aus der Situation macht und wie kompliziert die Umsetzung der Chancenkarte tatsächlich werden wird. Zahlt die Maßnahme lediglich auf das Konto weiterer Bürokratisierung der Einwanderung ein, wird sie sich kaum auf den Einwanderungssaldo auswirken.

 

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