Am 28. Juni 2025 tritt in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Damit werden die Regeln der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, EAA) verbindlich. Exakt sechs Jahre, nachdem diese veröffentlicht wurde. Wird endlich gut, was lange währt? Hoffentlich – aber viele Unternehmen hängen den Entwicklungen hinterher.
Ende 2023 lebten laut Informationen des Statistischen Bundesamts knapp acht Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit einer schweren Behinderung. Das sind 9,3 Millionen Menschen. Sie haben täglich mit Herausforderungen zu kämpfen, die viele Leute ohne Behinderungen gar nicht als solche erkennen. Das betrifft nicht nur die physische Welt, sondern auch das Internet – berechtigterweise Grund genug für die EU, den EAA zu entwerfen. Die Mühlen der Gesetzgebung mahlen zwar langsam, doch nun ist es so weit: Die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland tritt in Kraft.
Die wichtigsten Takeaways für HR-Abteilungen
- Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) gilt ab dem 28. Juni 2025 verbindlich in Deutschland.
- Es ermöglicht Menschen mit Behinderung eine verbesserte Teilhabe – auch am Arbeitsmarkt, da Karriereseiten von Unternehmern dadurch leichter zugänglich werden.
- Die Anpassung sorgt für eine höhere Arbeitgeberattraktivität und für einen vergrößerten Pool an Fachkräften.
- Auch die digitale Sichtbarkeit des Unternehmens steigt durch die barrierefreie Gestaltung der Karriereseiten.
Erklärung: Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zielt darauf ab, digitale Barrieren zu verringern und so Menschen mit Behinderungen eine bessere Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Das gilt für das gesellschaftliche Leben, aber auch für Jobs.
Dafür verfolgt das Gesetz einen ganzheitlichen Ansatz:
- Menschen mit Behinderungen sollen digital einen gleichberechtigten Zugang zu Produkten und Dienstleistungen haben. Das betrifft zum Beispiel Shops, Kommunikationsdienstleister und Finanzinstitute, aber auch Karriereseiten auf Unternehmenswebsites.
- Damit nicht jedes Unternehmen seine eigene Lösung zusammenpuzzelt, enthält das Gesetz einheitliche Regeln für die Barrierefreiheit, die so auch EU-weit gelten. Vorteil für Unternehmen: sie können ihre Dienstleistungen und Produkte so leichter in der ganzen EU anbieten.
- Die EU-weit einheitlichen Anforderungen gießen Wasser auf das lodernde Bürokratiefeuer und erleichtern es Unternehmen, die Vorschriften einzuhalten.
Sie werden also Aufwand mit der Umsetzung des Gesetzes haben, aber im Nachhinein macht es vieles auch unkomplizierter. Wichtig zu wissen: Die Anforderungen gelten für alle Firmen, einzige Ausnahme bilden Kleinstunternehmen – also jene, die weniger als zehn Mitarbeitende und einen Jahresumsatz oder eine Jahresbilanzsumme von maximal zehn Millionen Euro haben.
Was passiert bei Verstößen gegen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Werden Sie bei einem Verstoß gegen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz erwischt, wird ein Bußgeld fällig. Bei weiterhin andauernden Verstößen kann sogar die Website abgeschaltet werden.
Es gibt verschiedene Wege, wie eine Nichteinhaltung des Gesetzes festgestellt werden kann: Einerseits werden die Marktüberwachungsbehörden ein Melde- und Monitoring-System einrichten. Andererseits gelten Verstöße als wettbewerbswidrig, sodass auch Mitbewerber oder Einrichtungen und Verbände, die nach dem Behindertengleichstellungsgesetz anerkannt sind, das Unternehmen kostenpflichtig abmahnen dürfen. Bieten Sie also am besten keine Angriffsfläche!
Vorteile des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes für Unternehmen
Es gibt auch ansprechendere Gründe für die Einhaltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes als nur die Angst vor Strafe:
- Arbeitgeberattraktivität: Sie verbessern das Image Ihres Unternehmens in der Öffentlichkeit – Stichwort Employer Branding. Viele Fachkräfte bewerben sich lieber bei verantwortungsvollen Unternehmen, die offen, inklusiv und modern sind, als bei solchen, die altbacken wirken und bei neuen Entwicklungen hinterherhinken.
- Größerer Fachkräftepool: Ermöglichen Sie Personen einen einfachen Zugang zum Bewerbungsprozess, die ihn vorher nicht hatten, vergrößern Sie sich selbst die Auswahl an Fachkräften. Vakante Stellen können Sie so schneller besetzen.
- Optimierte Usability: Die Barrierefreiheit ist nicht allein für Menschen mit Behinderungen gut. Die verbesserte Übersichtlichkeit und die Möglichkeit zur intuitiven Nutzung machen den Besuch der Website für alle Menschen angenehmer.
Letzteres hat auch Auswirkungen auf das Ranking bei Suchmaschinen: Laut einer Studie aus dem September 2024 belohnt Google barrierefreie Websites. Bei 39 Prozent der befragten Unternehmen hat die Anpassung zu einer verbesserten Position im Ranking geführt. Die Einhaltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes hat also eine SEO-Wirkung.
Ein weiterer Pluspunkt: Ebenfalls 39 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass ihre Inhalte häufiger auf Social Media geteilt wurden, seit ihre Websites barrierefrei sind.
8 Tipps, um die HR-Seite inklusiv zu gestalten
Wenn Sie Ihre Online-Karriereseite gestalten und sich mit dem Thema Barrierefreiheit nicht auseinandersetzen, ahnen Sie vermutlich gar nicht erst, welche Hürden anderen Menschen den Zugang zu einer Bewerbungsseite verbauen.
Diese Punkte sind die wichtigsten:
- Bedienung über die Tastatur: Sorgen Sie dafür, dass sich die ganze Seite problemlos allein über die Tastatur und ohne Einbeziehung der Maus steuern lässt.
- Sichtbarer Tastaturfokus: Ohne einen sichtbaren Tastaturfokus können viele Menschen mit Behinderungen nicht erkennen, wo auf der Seite sie sich gerade befinden und welches Element sie angewählt haben.
- Starke Kontraste: Hellgraue Schrift auf weißem Grund zum Beispiel mag hübsch aussehen. Sie ist aber schon für normalsichtige Personen schwer lesbar. Menschen mit einem eingeschränkten Sehvermögen können sie kaum erkennen.
- Geeignete Schriftgrößen: Die Schrift muss ausreichend groß sein oder sich in der Größe anpassen lassen, sodass sie auch für Personen mit eingeschränktem Sehvermögen gut lesbar ist.
- Untertitel: Ermöglichen Sie es gehörlosen Menschen, die Sätze in Videos mitzulesen.
- Bildbeschreibungen: Legen Sie Beschreibungen Ihrer Bilder auf der Seite an für Menschen, die nichts und nur wenig sehen können. So geht ihnen der Mehrwert nicht verloren, den die Illustrationen bieten.
- Intuitive Navigation: Achten Sie darauf, dass die Tab-Reihenfolge logisch ist und ein einfaches Navigieren ermöglicht. Eine schlichte Struktur ermöglicht zudem die Kompatibilität mit Bildschirmlesegeräten.
- Minimierung von Pop-ups: Verzichten Sie auf die Einblendung von Bannern oder Cookie-Informationen, die die Website teilweise verdecken und sich nicht problemlos schließen lassen.
Können die Interessierten ohne Probleme sämtliche Infotexte lesen und Bild- sowie Videoinhalte aufnehmen, können sie sich für oder gegen eine Bewerbung entscheiden. Damit sie diese einreichen können, müssen Sie die intuitive Navigation durch das Bewerbungsformular ermöglichen – ganz ohne Maus.
Kurzfristige Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes
Und wie sieht das in der Praxis aus? Im Rahmen der Studie „Inklusion im Personalmarketing und Recruiting“ hat Prof. Dr. Christoph Beck von der Hochschule Koblenz mit seinem Team zwischen November 2024 und Februar 2025 196 Karriere-Websites des öffentlichen Dienstes getestet.
Das Ergebnis: 38 davon erfüllten die Anforderungen an die Barrierefreiheit zu 95 Prozent, 12 zu 100 Prozent. „Bei diesen Karriere-Websites gibt es keine kritischen Fehler im Prozess. Sie sind mithin sehr gut auf die Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen ausgerichtet“, kommentiert Prof. Beck. 67 Prozent der Institutionen lagen allerdings bei unter 67 Prozent und haben damit bis Ende Juni noch einiges zu tun.
Fazit: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist ein Muss mit Benefits
Die Zeit drängt, wenn Sie bis jetzt mit der Anpassung der Karriereseiten noch nicht angefangen haben: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gilt ab dem 28. Juni 2025. Auch wenn manche Unternehmen unter den Anforderungen der Richtlinie stöhnen, bringt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz viele positive Aspekte mit sich.
Diese gelten nicht nur für Menschen mit Behinderung, denen neue Möglichkeiten eröffnet werden, sondern auch für die Unternehmen selbst: Sie erschließen sich neue Gruppen von Fachkräften, zu denen sie bislang keinen Zugang hatten. Zudem verbessern sie sowohl ihre digitale Sichtbarkeit als auch ihr Image.
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