Ein Weckruf für HR-Verantwortliche: Die langfristige Bedeutung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) nimmt ab. Die Gesundheitskompetenz der Beschäftigten sinkt – mit spürbaren Folgen für Unternehmen.
Gesundheitskompetenz bildet die Grundlage für eine leistungsfähige Belegschaft. Doch aktuelle Studien zeigen: Rund 59 % der deutschen Bevölkerung weisen eine problematische oder inadäquate Gesundheitskompetenz auf. Die Konsequenzen reichen von höheren Krankheitsständen über Stressbelastung bis hin zu sinkender Produktivität.
Gesundheitskompetenz ist mehr als nur Wissen über Ernährung oder Bewegung – sie beschreibt die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu verstehen, einzuordnen und im Alltag sinnvoll zu nutzen. Für HR-Verantwortliche spielt sie eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Belegschaft nachhaltig zu fördern.
Betriebliches Gesundheitsmanagement verliert an strategischer Relevanz
Dennoch verliert das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) an strategischer Relevanz: Laut BPM-Berufsfeldstudie 2023 ist BGM in der Prioritätenliste der HR-Themen auf Platz 12 abgerutscht – ein Rückgang um elf Prozentpunkte seit 2020.
Diese Entwicklung wirft eine zentrale Frage auf: Wie können Unternehmen unter diesen Bedingungen die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden langfristig sichern?
Gerade in einer Zeit, in der sich der Gesundheitszustand von Beschäftigten verschlechtert und komplexe Gesundheitsinformationen zunehmen, wird deutlich: Mitarbeitende benötigen Orientierung und Unterstützung. Viele Personen tun sich schwer, verlässliche Gesundheitsinformationen zu erkennen und ins Handeln zu kommen. Die Folgen können fehlerhafte Selbsteinschätzungen, lebensstilbedingte Leistungsminderungen oder unnötige Krankheitsausfälle sein.
Hier setzt gesundheitskompetente Personalarbeit an. Sie schafft Rahmenbedingungen, die die Beschäftigten individuell befähigen, gesündere Gewohnheiten zu bilden – zum Beispiel durch wissenschaftsbasierte Gesundheitsinformationen mit Check-up und Gesundheitscoaching. Gleichzeitig signalisiert sie Wertschätzung und Fürsorge: Wer Gesundheitskompetenz stärkt, fördert Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung im Unternehmen.
Herausforderungen des herkömmlichen BGM: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Viele BGM-Programme fokussieren auf Angebote wie Fitnessgutscheine, Gesundheitstage oder digitale Tools. Diese Maßnahmen können Impulse setzen, greifen aber oft zu oberflächlich. Häufig werden vor allem Mitarbeitende erreicht, die bereits gesundheitsbewusst handeln – während andere Zielgruppen außen vor bleiben.
Hinzu kommt: Ohne klare Zielorientierung und ohne Wirksamkeitsnachweise geraten BGM-Maßnahmen schnell unter Rechtfertigungsdruck – insbesondere, wenn es um die Budgetvergabe geht.
Neue Wege im BGM: Gesundheitskompetenz strategisch fördern
Anstelle punktueller Maßnahmen rückt in der aktuellen Diskussion zunehmend ein strategischer Ansatz in den Fokus: Die gezielte Förderung der Gesundheitskompetenz als langfristiger Hebel zur Verbesserung der individuellen Leistungsfähigkeit.
Erfolgreiche BGM-Strategien zeichnen sich durch vier Prinzipien aus:
- Gesundheitskompetenz statt Einzelmaßnahmen: HR sollte Mitarbeitende befähigen, ihre eigene Gesundheitsstrategie zu entwickeln, statt nur pauschale Angebote bereitzustellen.
- Führungskräfte als Gesundheitsmultiplikatoren nutzen: Gesundheitswirksame Führung bedeutet, dass Führungskräfte ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, ihre Gesundheitskompetenz zu erhöhen und ihre gesundheitsbezogene Eigenverantwortung zu stärken.
- Evidenzbasierte Methoden statt Aktionismus: Maßnahmen müssen nachweislich wirksam sein – das gelingt durch wissenschaftlich fundierte Programme mit langfristigen Erfolgen.
- Maßgeschneiderte Lösungen für jeden einzelnen Menschen: Gesundheit ist individuell. Jeder Mitarbeitende wird befähigt, eine eigene Strategie zu entwickeln, die zu seiner Lebenssituation, seinen Herausforderungen und seinen Zielen passt.
Betriebliches Gesundheitsmanagement: Gesundheitskompetenz ist erlernbar
Ein Praxisbeispiel aus dem öffentlichen Sektor zeigt, wie sich durch gezielte Interventionen in kurzer Zeit signifikante Verbesserungen erzielen ließen – unter anderem in der Stresskompetenz, körperlichen Leistungsfähigkeit und im Aufbau gesunder Gewohnheiten. Auch Jahre nach der Teilnahme berichten Mitarbeitende noch von nachhaltigen Effekten:
- Gesundheitskompetenz in einer Mitarbeitergruppe um 45 % gesteigert
- Stresskompetenz um bis zu 17 % verbessert
- Körperliche Leistungsfähigkeit um 58 % erhöht
Diese beeindruckenden Ergebnisse wurden innerhalb von nur sechs Monaten erzielt – und sie bleiben nachhaltig wirksam. Denn die neuen Verhaltensweisen wurden nicht nur kurzfristig verändert, sondern sind zu festen Gewohnheiten geworden, die weiterhin Bestand haben.
Das zeigt: BGM kann nachhaltig wirken, wenn es nicht nur Maßnahmen bereitstellt, sondern Menschen individuell befähigt, ihre Eigenverantwortung und Gesundheitskompetenz zu stärken.
Fazit: Gesundheitsförderung als wirtschaftlicher Erfolgsfaktor
Die Zahlen verdeutlichen: Unternehmen, die systematisch in die Gesundheitskompetenz ihrer Mitarbeitenden investieren, profitieren langfristig – durch mehr Produktivität, weniger Ausfallzeiten und eine stärkere Unternehmenskultur.
Gesundheit ist erlernbar – und sie benötigt eine evidenzbasierte Grundlage.
Über den Autor: Dr. med. Dirk Lümkemann ist Sportmediziner, Diplom-Sportlehrer und Coach. Als Gründer und Geschäftsführer von padoc® begleitet er Unternehmen seit über 25 Jahren beim Aufbau eines modernen Betrieblichen Gesundheitsmanagements.