In der angelsächsischen Welt ist schon länger von High-Trust Companies die Rede. Gemeint sind Unternehmen mit einer hohe Vertrauenskultur. Aber was verbirgt sich dahinter und was heißt überhaupt Vertrauen in der Unternehmenskultur? Und kann man Vertrauen steuern?
In der Krise mussten viele Unternehmen oder Vorgesetzte erst lernen, ihren Mitarbeitenden im Homeoffice zu vertrauen, zum Beispiel, dass sie dort nicht nur faul auf dem Sofa herumliegen oder Ablenkungen wie Wäschewaschen nachgehen. Holt man sich ein aktuelles Stimmungsbild ein, wie durch die Organisationsberaterin Dr. Johanna Dahm, so zeigt sich, dass die meisten Führungskräften die Ehrlichkeit ihrer Mitarbeitenden im Homeoffice anzweifeln. Lediglich 5 Prozent glauben, ihre Teammitglieder wären im Homeoffice produktiver, 70 Prozent sähen es lieber, wenn sie wieder ins Büro zurückkämen.
So viel zur viel gerühmten Vertrauenskultur, wie sie Jahre vorher schon Unternehmen und Forschende wie Dahm beschäftigte. Das Beispiel mit Office versus Homeoffice zeigt für sie, dass viele Führungskräfte immer noch meinen, ein Auge auf die die Arbeitszeiten und Produktivität ihrer Mitarbeitenden haben zu müssen. Für sie setzt ein High-Trust-Unternehmen, von dem immer mehr die Rede ist, das Vertrauen auf allen Ebenen voraus: Vertrauen in die Entscheidungen der Unternehmensleitung, in die Arbeitsergebnisse aller Mitarbeitenden sowie in die Motivation und Leistungsbereitschaft jedes Einzelnen.
Was High-Trust-Unternehmen ausmacht
Fehlendes Vertrauen äußert sich ihr zufolge oft in Kompetenzgerangel und einer schlecht ausgeprägten Fehlerkultur. Denn aus Angst, die falsche Entscheidungen zu treffen, lässt man diese lieber links liegen und sucht eher nach Wegen, sich gegenüber allen Seiten abzusichern. Zum Teil ist das schon in der Schule angelegt, weil die Lehrkräfte meist nur einen Lösungsweg für richtig und gut befinden.
High-Trust-Unternehmen verschwenden laut Dahm weniger Zeit auf Kompetenzgerangel und das Absichern von Entscheidungen und alle Ebenen sind in einen permanenten Optimierungsprozess eingebunden, womit das Unternehmen deutlich agiler und innovativer ist. Führung habe in so einer Organisation auch nichts mit Kontrolle und dem ständigen Überwachen von Arbeitsergebnissen zu tun, sondern bestehe in einem ständigen gegenseitigen 360-Grad-Feedback und -Coaching.
Führungskraft sei da auch nicht, wer laut Funktion das Sagen hat, sondern wer das Team durch sein Handeln am stärksten voranbringt, so Dahm. Weiter nennt sie fünf Ws der High-Trust-Führungskultur, darunter als wichtigste die Wertschätzung für geleistete Arbeit, die Wachsamkeit oder besser Achtsamkeit hinsichtlich leistungseinschränkender Probleme und das Wohlwollen den mit bestimmten Aufgaben betrauten Personen gegenüber gepaart mit dem Willen, sie auf ihrem Erfolgsweg zu begleiten und ihnen diesen auch zu gönnen.
Vertrauen ist Zuversicht, Druck läuft dem entgegen
Organisations- und Wirtschaftspsychologe Dr. Wolfram Schön, Autor des bei Springer Professional erschienenen Buches „Vertrauen, die Führungsstrategie der Zukunft“, sieht in dem Vertrauen die Schlüsselkompetenz einer jeden Führungskraft. „Vertrauen entsteht wie ein Diamant: unter besonderen Bedingungen“, sagt er in einem Interview mit dem Verlag. Anders als beim Diamanten spiele Druck hier keinerlei Rolle, im Gegenteil, Druck oder Zwang laufen dem Vertrauen entgegen.
Vertrauen ist nach seiner Definition die Zuversicht, dass jemand anderes berechenbar im gemeinsamen Interesse handelt. Vertrauen stehe allerdings auch immer unter dem Misstrauensvorbehalt, was es vielen Menschen so schwierig mache zu vertrauen. Daher paart er den Vertrauensbegriff mit zwei anderen: der Zuversicht hinsichtlich einer positiven Wendung und der Berechenbarkeit als gewisser Garant für das psychische Grundbedürfnis der Sicherheit.
Als vertrauensschaffend macht Schön sieben Faktoren aus: die fachliche oder methodische Kompetenz; das Vertrauen in sich selbst, womit man auch eher Anderen vertraut; Wertschätzung und Respekt, wobei gelebte Wertschätzung bedeutet, stets positiv und unvoreingenommen auf Menschen zuzugehen; eine offene und transparente Kommunikation; das Bezeugen von Interesse an anderen Menschen; und als siebenten Aspekt das Erleben und die Bereitschaft, den persönlichen Kontakt zu suchen, statt sich als Führungskraft nur im eigenen Büro zu verstecken.
Vertrauen ist wie Seife, flutsch ist sie weg
Die LEA-Geschäftsführerin, Beraterin und Buchautorin Christina Grubendorfer setzt sich unter dem Titel „Vertrauen als Erfolgsfaktor für Unternehmen?“ kritisch mit dem Vertrauensbegriff auseinander. Sie schreibt, das Vertrauen ist wie Seife in der Badewanne: „Je beherzter man danach greift, desto weiter flutscht sie weg.“ Nach dem folkloristischen Verständnis gehe man davon aus, dass Leute entweder vertrauenswürdig sind oder nicht. Der- oder diejenige wird somit zum Objekt des eigenen Vertrauens in sie oder ihn. Und das Vertrauen oder Misstrauen beruht nach dem Verständnis auf positiven oder negativen Vorurteilen und einem Schwarz-Weiß-Denken.
Dabei kann eine Person vertrauenswürdig und wieder nicht sein. Man ist geneigt, bestimmte Beobachtungen in die eine oder andere Richtung zu übertreiben und Bekannten oder Bekanntem eher Vertrauen zu schenken, den oder dem Unbekannten dagegen Misstrauen. Wenn man aber die betreffende Person in ihrer „ganzen Komplexität und Ambivalenz, so launisch, so wechselhaft, so situativ, so zustandsabhängig, so tageszeitbeeinflusst wie wir uns selbst kennen“ sehen würde, dann wüsste man nicht, was man tun soll, so Grubendorfer.
Weiter schreibt sie: „Wir sind sehr erfolgreich in diesen Fiktionen und werden dabei auch noch massiv unterstützt von unserem sozialen Umfeld. Es hilft uns dabei, Lagen und Personen einzuschätzen.“ Ihr zufolge gibt es auch ein „blindes Systemvertrauen“, wo man eher persönlichen Empfehlungen vertraut. Man brauche dazu keine Lernzeit oder Anwärmphase. Misstrauen wir jemandem und gibt er oder sie sich freundlich, unterstellen wir der Person Hinterlist. Und oft wird das so wie das Vertrauen zur „self fulfilling prophecy“, zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Geschenktes Vertrauen wird aber oft auch durch eine entsprechende Verhaltensweise erfüllt. Und somit könne man sagen: „Vertrauen erzieht.“
In Unternehmen haben die, die das Sagen haben, auch erst mal einen Vertrauensvorschuss. Fehlt das Vertrauen ihr gegenüber, muss die Führungskraft sich formaler Mittel – wie etwa Druck – bedienen, riskiert aber, dann gar keine Kooperation und Informationen mehr zu bekommen oder nur die nötigen.
Schließlich kommt Grubendorfer zu der Frage, ob sich Vertrauen gestalten lässt, und das wäre auch eine Aufgabe für die HR-Abteilungen. Wie sie ausführt, stößt man beim Vertrauen an die Grenzen der Anordnung. Das Einzige, was man tun könne, sei zu überlegen, was wohl passiert, wenn man formal etwas ändert, etwa Vertrauensarbeitszeit einführt, statt an Stechuhren festzuhalten. Ständige Kontrolle hingegen würde nur schwerlich zu mehr Vertrauen führen. Im Gegenteil, weniger Kontrolle führe zu mehr Vertrauen und Eigeninitiative, selbst auf die Gefahr hin, dass sich dadurch Fehler einschleichen.
Ähnlich argumentiert auch Dahm und nennt als Beispiele für High-Trust-Unternehmen SAP, Novartis und die Tata Group, die jährlich als „great place to work“ ausgezeichnet werden, und unabhängig von der Pandemie ihren Mitarbeitenden – zumindest als Option – dauerhaftes Homeoffice angeboten haben. Weniger Kontrolle und mehr Vertrauen kann sich auszahlen, wie sich in der Krise laut diversen Umfragen gezeigt hat, aber wieviel man Loslassen kann, wird nach den Erfahrungen der zurückliegenden mehr als 20 Monaten sicherlich noch viel die Unternehmen, HR und Betriebsräte beschäftigen. Denn an dem Spruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ hängt letztlich doch auch ein Fünkchen Wahrheit.
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