Die Rolle der Mitarbeiter hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewandelt. An die Stelle der einstigen Befehlsempfänger sind Fachkräfte getreten, die ihre Arbeit bis ins kleinste Detail kennen. Sie wissen, wo es im Prozess hakt und wann Probleme am Horizont heraufziehen. Was wäre, wenn Arbeitgeber diese Meinungen, Erfahrungen und Bedenken nicht nur hören, sondern auch darauf reagieren würden? Employee Voice ist ein neuer Trend im HR-Bereich, der die Stimme der Mitarbeitenden sichtbar macht und ins Zentrum rückt.
Was ist Employee Voice?
Wortwörtlich übersetzt bedeutet „Employee Voice“ soviel wie „Stimme der Mitarbeiter“. Gemeint ist damit: Arbeitnehmer dürfen ihre Sichtweisen, Meinungen, Bedenken, Ideen und Vorschläge äußern und damit die Entscheidungsfindung im Unternehmen beeinflussen. Diese Definition beruht auf zwei Ebenen:
- Der Mitarbeiter muss bereit sein, seine Vorschläge und Ideen mit der Führungskraft zu teilen.
- Die Führungskraft muss bereit sein, ihren Mitarbeitern zuzuhören und anschließend auch auf die Vorschläge zu reagieren.
In diesen Situationen drückt sich Employee Voice aus
Es lassen sich zwei grundsätzliche Formen der Employee Voice unterscheiden:
- Formelle Voice: Der Mitarbeiter nutzt eine vorgegebene Form, um seine Vorschläge zu unterbreiten (z. B. ein betriebliches Vorschlagswesen). Hier gilt es, die Vorschläge zeitnah an die Stellen weiterzuleiten, die sie betreffen. Nur wenn die richtige Person Kenntnis davon erhält, kann sie auch etwas verändern.
- Informelle Voice: Der Mitarbeiter spricht mit anderen über seine Ideen, beispielsweise in der Teamsitzung, in der Kaffeepause oder auch auf der internen Social-Media-Plattform. Führungskräfte müssen lernen, genau hinzuhören. Die Informationen werden nicht auf dem Silbertablett serviert, sondern müssen aus Gesprächen herausgefiltert und wahrgenommen werden.
Was passiert, wenn die Employee Voice nicht gehört wird?
Bei vielen Arbeitgebern ist es an der Tagesordnung, dass Mitarbeiter zwar Vorschläge machen, aber nie eine Reaktion darauf erhalten. Langfristig bekommen sie das Gefühl, dass ihre Stimme nicht gehört wird, nichts wert sei. In der Folge werden sie ihre Bedenken immer seltener äußern und schließlich sogar ganz für sich behalten.
Jede Führungskraft kann selbst beeinflussen, wie stark sich ihre Mitarbeiter in das alltägliche Geschehen einbringen. Reagiert der Manager positiv auf den Vorschlag und gibt später auch ein Feedback darüber, fühlen sich die Mitarbeiter in ihrer Meinung wertgeschätzt. Das bedeutet nicht, dass die Führungskraft jeden Vorschlag zwingend umsetzen muss. Erklärt der direkte Vorgesetzte seinem Mitarbeiter, warum das Top-Management seinen Vorschlag nicht berücksichtigen konnte, trägt dies ebenso zu dem Gefühl bei, gehört worden zu sein.
Vorteile von Employee Voice: mehr Produktivität, ein besseres Image
Hören die Führungskräfte auf die Employee Voice, hat dies gleich mehrere Vorteile für das Unternehmen:
- Höhere Mitarbeitermotivation: Vermittelt die Führungskraft den Mitarbeitern, dass ihre Stimme etwas wert ist, steigt deren Motivation. Wie das Forbes Magazine berichtet, sind Mitarbeiter um bis zu 4,6-mal motivierter, ihre beste Leistung zu erbringen, wenn ihre Meinung in die Entscheidungsfindung einbezogen wird.
- Personalentwicklung: Erhalten die Mitarbeiter ein fundiertes Feedback dazu, wie mit seiner Meinung oder seinem Vorschlag umgegangen wird, lernt er daraus auch persönlich. Dies trägt dazu bei, sich auf fachlicher und persönlicher Ebene weiterzuentwickeln.
- Gesteigerte Produktivität: Wo Arbeitnehmer motiviert sind und Höchstleistungen erbringen, steigt auch die Produktivität.
- Positiver Effekt auf das Employer Branding: Zufriedene Arbeitnehmer berichten positiv über ihren Arbeitgeber – ob im Gespräch mit anderen oder im Internet. Unternehmen können so ihr Employer Branding vorantreiben und ihre Online-Reputation stärken.
- Mehr Perspektiven: Ein Problem aus unterschiedlichsten Perspektiven zu betrachten hilft, Lösungen zu finden, die sowohl vom Management als auch von den operativen Mitarbeitern getragen werden.
- Agilität: Mitarbeiter decken Schwierigkeiten auf, die vom Management aufgrund dessen Distanz zum operativen Geschäft übersehen worden wären. So kann das Unternehmen agil auf auftretende Probleme reagieren.
Führungskräfte hören nicht jede Stimme gerne
Ein Forscherteam der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf hat untersucht, unter welchen Umständen Führungskräfte auf die Employee Voice reagieren. Dabei hat sich gezeigt, dass es enorme Unterschiede gibt, je nachdem, wie die Meinung kundgetan wurde:
- Promotive Voice: Äußert der Mitarbeiter nicht nur Bedenken und berichtet über (potenzielle) Probleme, sondern liefert auch gleich eine mögliche Lösung mit, sind Führungskräfte eher bereit, zuzuhören. Sie empfinden diese lösungsorientierten Vorschläge als Bereicherung. Sie fühlen sich in ihren Plänen unterstützt, beziehen die Lösungsvorschläge ein und fühlen sich dadurch motiviert.
- Prohibitive Voice: Bringen Mitarbeiter lediglich Probleme auf den Tisch, ohne auf mögliche Lösungen einzugehen, versteht so manche Führungskraft dies sogar als persönliche Kritik oder Angriff. Ihre zu bewältigende Last wächst. Deshalb wird diese vorbeugende Voice oft nicht berücksichtigt und die Rückmeldung bleibt aus.
Für den Erfolg der Employee Voice ist deshalb entscheidend, dass das Prinzip der offenen Kommunikation in der Unternehmenskultur verankert wird. Die Führungskräfte müssen lernen, jede Art des Inputs ihrer Mitarbeiter wertzuschätzen – auch wenn er ohne konkrete Lösungsvorschläge abgegeben wird.
Offene Kommunikationskultur erfordert Umdenken
Damit die Mitarbeiter Employee Voice nicht als Makulatur empfinden, gilt es, diese offene Kommunikationskultur fest in den Alltag zu integrieren. Sie müssen dazu motiviert werden, ihre Meinung offen kundzutun. Sobald der einzelne Mitarbeiter bemerkt, dass den Worten auch Taten folgen und seine Kollegen tatsächlich eine Rückmeldung auf ihre Vorschläge erhalten, werden auch sie sich wieder darauf einlassen.
Für Führungskräfte gibt es viele Möglichkeiten, auf die Aussagen der Mitarbeiter zu reagieren. So sollten sie zunächst herausfinden, aus welchen Gründen der Arbeitnehmer seine Meinung kundgetan hat. Hat die Führungskraft den Eindruck, dass der Mitarbeiter diese schlüssig darlegen kann, sollte eine entsprechende Reaktion erfolgen. Dies kann ein Vieraugengespräch sein, um das Thema zu vertiefen. Aber auch die Diskussion in der nächsten Teamrunde oder die Besprechung mit der übergeordneten Führungskraft sind geeignete Ansätze.
Damit sich wirklich etwas ändern kann, müssen Führungskräfte ihren Teammitgliedern täglich wieder einen Anreiz bieten, sich an der Entwicklung des Unternehmens und an der Entscheidungsfindung zu beteiligen.
Die Mitarbeiter auf der operativen Ebene haben das größte Potenzial, um mögliche Stolperfallen und Probleme im Change-Prozess aufzudecken – kennt doch niemand die Abläufe besser als die Menschen, die täglich damit arbeiten. Die Führungskraft muss bereit sein, einmal getroffene Entscheidungen immer wieder zu hinterfragen und auf der Basis der aktuellen Employee Voice neu zu bewerten. Auch wenn die Entscheidungsgewalt auf einer höheren Ebene liegt, müssen potenzielle Probleme angesprochen werden.
Employee Voice ist mehr als nur ein Trend: Sie erfordert einen grundsätzlichen Wandel in der Unternehmens- und Kommunikationskultur. Sie lässt sich nur dort authentisch umsetzen, wo das gesamte Management, vom Teamleiter bis zum Top-Manager, dieses Prinzip lebt und offen kommuniziert.