Ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 hat klargestellt: Arbeitgeber sind verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Bislang wurde dieses aber bisher nicht in nationales Recht umgesetzt. Deshalb war bislang auch noch unklar, ob die Verpflichtung für deutsche Arbeitgeber bereits bestand.
Ein aktueller Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zeigt: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt bereits. Das sorgt für Klarheit, wirft aber auch einige Fragen auf. Für Unternehmen ist es spätestens jetzt an der Zeit, sich mit der Einführung eines Zeiterfassungssystems auseinanderzusetzen.
Hintergrund: EuGH-Urteil vom Mai 2019
Der Ursprung zur Frage der verpflichtenden Zeiterfassung geht mehr als drei Jahre zurück. Bereits im Mai 2019 hat der EuGH in einem Urteil die Mitgliedstaaten dazu angehalten, Unternehmen zur Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu verpflichten. Der deutsche Gesetzgeber hat es bisher jedoch versäumt, diese Vorgabe in nationales Recht zu gießen.
Viele Unternehmen hatten deshalb bis dato keinen Druck, sich sofort um die Anschaffung und Einführung eines Zeiterfassungssystems zu kümmern. Mangels gesetzlicher Vorgaben gab es bisher keine Sanktionen und daher keinen Grund, schnell zu reagieren.
BAG-Beschluss: Arbeitszeiterfassung ist Pflicht
Das Bundesarbeitsgericht bringt nunmehr Klarheit in die bislang unsichere Rechtslage. Das ergibt sich aus einem Beschluss des BAG. Im zugrundeliegenden Fall ging es darum, ob der Betriebsrat ein Initiativrecht hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung hat (BAG, Beschluss vom 13. September 2022, Az. 1 ABR 21/22, Pressemitteilung 35/22). Ein solches Recht verneinen die BAG-Richter. Mit der Begründung löste das BAG allerdings große Aufmerksamkeit aus, was das Thema der verpflichtenden Zeiterfassung angeht.
Demnach lässt sich aus der bestehenden Rechtslage bereits eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers ableiten, die Arbeitszeiten der Mitarbeiter zu erfassen. Dies ergibt sich aus der EU-rechtskonformen Auslegung der gegenständlichen Bestimmung § 3 Absatz 2 Nummer 1 ArbSchG. Damit stellen die Richter klar, dass Arbeitgeber bereits jetzt gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen.
Handlungsbedarf bei Unternehmen
Demnach ist die Zeit des Abwartens ist vorbei. Es besteht akuter Handlungsbedarf. Bislang zögernde Unternehmen sollten nicht mehr warten, bis der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH-Urteils in deutsches Recht umsetzt.
Entspannt zurücklehnen können sich jene Arbeitgeber, die bereits ein geeignetes Zeiterfassungssystem wie die flexible Zeiterfassung von rexx systems im Einsatz haben und daher die Vorgaben schon erfüllen. Alle anderen Unternehmen sind gut beraten, schnell zu handeln und möglichst zeitnah ein System zur Zeiterfassung einzuführen, auch wenn es derzeit noch keine Sanktionen bei Versäumnissen gibt.
Betroffene Arbeitgeber stehen nun vor der Frage, wie sie die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter erfassen sollen. Weder der EuGH noch der deutsche Gesetzgeber liefern hinsichtlich der Ausgestaltung nähere Vorgaben. Daran hat auch der BAG-Beschluss nichts geändert. Im EuGH-Urteil heißt es nur, dass das Zeiterfassungssystem
- objektiv,
- verlässlich und
- zugänglich
sein muss. Diese Voraussetzung könnte nach derzeitigem Wissensstand auch eine handschriftliche Dokumentation oder eine herkömmliche Stechuhr erfüllen, die die Arbeitszeit erfasst. Als Alternative zur manuellen Form bietet sich eine elektronische Zeiterfassung, am einfachsten per Zeiterfassungs-App, an. Digitale Zeiterfassungssysteme haben in Hinblick auf Datenschutz, Datensicherheit und Auswertbarkeit klare Vorteile.
Neue Unsicherheit durch das BAG-Urteil im Arbeitsrecht
Abgesehen von der Klarstellung, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits besteht, wirft der BAG-Beschluss auch einige Fragen auf. Vor allem bezüglich der Auswirkungen auf Vertrauensarbeitszeit, Homeoffice und Überstundenabgeltung gibt es Klärungsbedarf.
Vertrauensarbeitszeit
Bezüglich der Frage, ob der BAG-Beschluss ein Ende der Vertrauensarbeitszeit bedeutet, gehen die Meinungen auseinander. Das liegt daran, dass noch einige Punkte offen sind:
- In welcher Form sind Arbeitszeiten zu erfassen und zu dokumentieren?
- Ist das Stempeln am stationären Terminal Pflicht oder dürfen Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten alternativ via App erfassen?
- Wie sind Überstunden abzugelten?
Viele Mitarbeiter haben sich an die Vertrauensarbeit in Kombination mit dem Homeoffice gewöhnt. Der Kern dieses Konzepts besteht darin, dass Unternehmen die Leistung in den Mittelpunkt rücken und es den Mitarbeitern teilweise freistellen, wann und wo sie arbeiten. Diesem Verständnis steht der BAG-Beschluss nicht unbedingt entgegen. Demnach können Mitarbeiter im Homeoffice unter Einhaltung der gesetzlichen und tarifvertraglichen Regeln ihre Arbeitszeiten nach wie vor individuell gestalten. Laut dieser Ansicht bleibt bei den Modellen des mobilen Arbeitens und der Vertrauensarbeitszeit ein gewisser Spielraum bestehen. Allerdings sind die Arbeitszeiten zu dokumentieren.
Ob das Modell der Vertrauensarbeitszeit in der heutigen Form noch möglich sein wird, ist zu bezweifeln, vor allem, wenn es um die pauschale Abgeltung von Überstunden geht. In Zukunft wird es ein gewisses Maß an Kontrolle brauchen.
Viele Betriebe arbeiten bereits mit digitalen Zeiterfassungssystemsystemen. Oftmals werden die Arbeitszeiten auf Vertrauensbasis von den Mitarbeitern dokumentiert. Gerade bei Bürotätigkeiten verzichten Arbeitgeber regelmäßig auf engmaschige Kontrollen. Unternehmen stehen vor der Aufgabe, Vertrauensarbeitszeit mit der Arbeitszeiterfassung in Einklang zu bringen. Es geht darum, die Mitarbeiter dazu zu motivieren, ihre Arbeitszeiten korrekt zu erfassen und zu dokumentieren.
Homeoffice
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung steht Remote-Modellen nicht entgegen. Es gibt moderne Zeiterfassungssysteme, mit denen Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten auch vom heimischen Schreibtisch aus erfassen können und Arbeitgeber eine gewisse Kontrolle haben. Unternehmen können Zeiterfassungssysteme nutzen, die das Dokumentieren über digitale Schnittstellen möglich machen. Homeoffice basiert auf Vertrauen. Wenn der Arbeitgeber den Mitarbeitern dahingehend vertraut, dass sie die geleisteten Arbeitsstunden ehrlich und korrekt dokumentieren, steht diesem Arbeitsmodell nichts entgegen.
Überstundenabgeltung
Digitale Zeiterfassungssysteme unterstützen auch die Erfassung von Überstunden. Zur finanziellen Vergütung dieser Mehrarbeit trifft das EuGH-Urteil keine Vorgaben, weil die Pflicht zur Zeiterfassung dem Gesundheitsschutz dient. Damit soll sichergestellt sein, dass Mitarbeiter im vorgeschriebenen gesetzlichen Zeitrahmen ihre Gesundheit schonen und erhalten können. Wenn Überstunden vorliegen, werden Unternehmen den Mitarbeitern statt der finanziellen Abgeltung voraussichtlich einen Arbeitszeitausgleich gewähren können.
Hoher Bürokratieaufwand oder Chance?
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung muss keinen Mehraufwand bedeuten. Für Arbeitgeber kann sich die Einführung eines Zeiterfassungssystems vielmehr als Chance erweisen. Moderne digitale Tools berechnen die Arbeitszeiten sowie An- und Abwesenheitszeiten basierend auf den aufgezeichneten Daten regelmäßig automatisch. Das bedeutet eine Arbeitserleichterung für HR-Mitarbeiter.
In einigen Branchen wie Baugewerbe, Gastronomie, Personenbeförderung, Spedition und Fleischwirtschaft ist die verpflichtende Zeiterfassung bereits seit einigen Jahren Teil des Alltags. Auch bei Projektarbeiten gehört die Zeiterfassung vielfach dazu. Arbeitszeiten zu erfassen, ist schon jetzt ein Bestandteil moderner Arbeitsorganisation.
Zeiterfassung: Es wird Zeit, zu handeln
Dass die Pflicht, die Arbeitszeit zu erfassen, bereits gilt, hat das BAG nunmehr klargestellt. Welche Vorgaben der deutsche Gesetzgeber zur Form der Zeiterfassung treffen wird, bleibt noch abzuwarten. In Hinblick auf die BAG-Entscheidung ist es nicht ratsam, sich darauf zu verlassen, dass der Gesetzgeber noch eine Übergangsfrist gewährt, sobald die gesetzlichen Vorgaben in Kraft treten. Stattdessen sollten Arbeitgeber möglichst schnell ein passendes Zeiterfassungssystem auswählen und einführen, selbst wenn derzeit (noch) keine Sanktionen drohen.
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