Zwei großangelegte Feldversuche in Island haben gezeigt, dass die 4-Tage-Woche zu mehr Wohlbefinden der Arbeitnehmerschaft und somit nicht zu weniger, sondern sogar zu mehr Produktivität führen kann. Die Frage ist aber, ob sich das auch auf Deutschland übertragen lässt.
Bei der 4-Tage- oder 30-Stundenwoche klingt etwas New Work an. Viele setzen das heute mit Remote Work und virtuellen Meetings gleich. Der „Erfinder“, der deutsch-amerikanische Philosophieprofessor Frithjof Bergmann hatte dabei aber um 1980 daran gedacht, als Ausweg aus der zunehmenden Automatisierung und möglicher Massenarbeitslosigkeit das Erwerbsleben neu zu definieren. Seine Idee war, mehr Zeit für Eigenanbau und „smarten“ Konsum sowie für mehr erfüllende Aufgaben neben der fortgesetzten Lohnarbeit zu schaffen.
Vor- und Nachteile der 30-Stundenwoche
Ähnliche Gedanken finden sich auch in den Vorschlägen für die Einführung der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich oder der von der Gewerkschaft ver.di angeregten freien Verfügungstage wieder. Die Vor- und Nachteile der 4-Tage- oder 30-Stundenwoche diskutieren Experten wie Insa Schoppe von Gründer.de derzeit heftig. Weniger Arbeiten heißt für die Berufstätigen vor allem mehr Zeit für Sport, Freizeit und Erholung. Als weitere Vorteile nennt sie unter anderem mehr Gelassenheit durch eine andere Aufgaben-Aufteilung, mehr Zeit für soziale Interaktion, Steigerung der Motivation und Gesundheit der Mitarbeitenden sowie des Employer Branding.
Natürlich sind in diesem Zusammenhang auch die möglichen Nachteile, die mitunter für viel Diskussionsbedarf sorgen, nicht außer Acht zu lassen. Denn die durch die Zeiteinsparung entstehenden Arbeitsausfälle bei wichtigen Terminen sind für manche Branchen nicht umsetzbar und für Startups teilweise sinnlos.
Island vorher: viel, aber weniger produktive Arbeit
Island hat die 4-Tage-Woche bereits probeweise 2015 und 2017 in zwei großen Feldversuchen mit insgesamt rund 3.000 Beschäftigten durchgeführt und kam zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die Produktivität darunter nicht leidet. Ganz im Gegenteil: je nach Branche oder Tätigkeit kann diese sogar ansteigen. Denn gleichzeitig erhöhte sich auch das Wohlbefinden der Arbeitnehmenden, und sie fielen krankheitsbedingt weniger aus.
Die Ergebnisse waren so gut, dass mittlerweile 86 Prozent der Inselbevölkerung einen Rechtsanspruch haben, von den bisherigen 40 Stunden nur noch 35 bis 36 Stunden zu arbeiten. Für das Pflegepersonal besteht die Möglichkeit, 32 Stunden die Woche zu arbeiten.
Dabei hatte Island laut OEZD und Spiegel bisher mit tatsächlich 45 Stunden die höchste Wochenarbeitszeit und die längste Lebensarbeitszeit in ganz Europa. Das machte sich jedoch in puncto Produktivität bemerkbar. Die Produktivität des kleinen Landes lag zum Teil deutlich unter dem europäischen Schnitt.
Arbeit umverteilen und straffen
In Island hat man die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auch dadurch erreicht, dass unnötig lange Meetings zum Beispiel verkürzt wurden. In Deutschland galt 1825 übrigens noch die 82-Stundenwoche und 1900 noch die 60-Stundenwoche bei sechs statt vorher sieben Tagen.
Der Bericht über den 4-Day-Summer bei Braineffect enthält Zahlen von WHO und der internationalen Arbeitsorganisation ILO zu Arbeitsüberlastung. Demnach sind 2016 weltweit rund 745.000 Menschen an einem Schlaganfall oder einer Herzerkrankung verstorben, weil sie mindestens 55 Stunden pro Woche gearbeitet haben.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert daher, dass sich Regierungen, arbeitgebende und Arbeitnehmende auf eine Arbeitszeitgrenze einigen sollten. Auch Prof. Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung hält den Einigungsweg für den besseren, als eine Arbeitszeitverkürzung und somit Stundenlohnerhöhung mit Druck oder neuen Gesetzen erzwingen zu wollen.
Start-up lebt „4-Day-Summer“ vor
In Wirklichkeit hat die Nachkriegsgeschichte gezeigt, dass es den Unternehmen und der Wirtschaft immer noch gut ging, als die Gewerkschaften gegen großen Widerstand 1956 die 5- statt der 6-Tage-Woche durchgesetzt hatten und 40 statt 48 Stunden die Woche. Denn die Produktivität hatte sich bereits deutlich erhöht.
Tarifvereinbarungen in der Druck-, Metall- und Elektroindustrie sehen seit 1995 schon die 35-Stundenwoche vor.
Tatsächlich arbeiten Männer in Deutschland heute im Schnitt 41 Stunden und wünschen sie sich stattdessen 37 Stunden, Frauen im Schnitt 32 Stunden, mit dem Wunsch, auf 30 Stunden zu reduzieren. Das im Beitrag erwähnte Start-up Braineffect hat seinen rund 60 Beschäftigten von Anfang Juni bis Ende August einen „4-Day-Summer“ beschert und straft damit Lügen, dass Jungunternehmen sich eine 4-Tagewoche gar nicht leisten könnten. Gründer und CEO Fabian Foelsch hat beschlossen, in den beiden Sommermonaten für das Gros der Belegschaft den Freitag zu streichen. Auf die Idee kam der ehemalige Leistungssportler durch eine Mitarbeiterbefragung im Corona-Winter, mit dem Ergebnis, dass der Stresspegel für die Angestellten zu hoch ist.
Durch Straffung und Umverteilung der Aufgaben auf andere Monate konnte Braineffect es sich leisten, im Juli und August nur vier Tage bei vollem Lohnausgleich arbeiten zu lassen.
Auch wenn die Umsetzung einer 4-Tage-Woche in Unternehmen zunächst eine zeitintensive Herausforderung darstellt, so kann das Personalmanagement großen Einfluss auf die erfolgreiche Umsetzung des Projekts haben. In der Hinsicht kann eine gute Beziehung zwischen HR-Abteilung und Betriebsrat, sofern im Unternehmen vorhanden, ein ausschlaggebender Punkt sein. Denn wenn beide Seiten an einem Strang ziehen, kann gemeinsam ein zukunftsfähiges Arbeitsmodell ausgearbeitet und der Geschäftsleitung vorgestellt werden.
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