Fast zwei Drittel der Führungskräfte gehen von einer höheren Arbeitsbelastung aus, seit Arbeitgeber vermehrt auf Remote Work setzen. Viele klagen über Erschöpfung bis hin zum Burn-out. Das sind die Ergebnisse einer Studie, die in Kooperation zwischen dem Bundesverband der Personalmanager (BPM) und den Kienbaum Consultants International entstand. Auf den Führungskräften lasteten schon vor der Pandemie enorme Herausforderungen. Hinzu kommen nun Schwierigkeiten bei der Transformation ihrer Teams im New-Normal-Kontext.
Mit welchen Herausforderungen Manager jetzt umgehen müssen
Die digitale Transformation mischte das Führungsumfeld bereits in den vergangenen Jahren kräftig auf. Nun bringen moderne Arbeitsmodelle wie Remote Work und Hybrid Work weitere neue Herausforderungen mit sich:
- Zerrissene Teams: Die Teams werden räumlich und zeitlich auseinandergerissen, weil die Mitglieder zu unterschiedlichen Zeiten vor Ort oder remote arbeiten. Dies erschwert es, das Team als Einheit zu führen, echte Beziehungen aufzubauen und den Zusammenhalt zu stärken.
- Konfliktpotenzial: Die Zusammenarbeit über die Grenzen räumlicher Teams hinaus birgt neues Konfliktpotenzial, das Führungskräfte bewältigen müssen. Die nonverbale Sprache über Messengerdienste und E-Mails ebenso wie Telefonate anstelle persönlicher Meetings oder Jour Fixes bieten reichlich Möglichkeiten für Missverständnisse.
- Diskriminierung: Es ist eine Herausforderung für Vorgesetzte, keine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ entstehen zu lassen, die Mitarbeitende in Präsenz jenen im Homeoffice vorzieht und abwesende Kollegen diskriminiert – ob bewusst oder unbewusst.
- Prozessoptimierung: Da die Umstellung auf Remote-Work-Modelle 2020 so ad hoc erfolgte, hatten viele Prozesse keine Chance, natürlich mit der Entwicklung mitzuwachsen. Diese müssen nach und nach so optimiert werden, dass der Workflow optimal mit den Anforderungen der hybriden Arbeitswelt konform geht.
Studie bestätigt Herausforderungen im People-Management
Diese Herausforderungen bestätigen auch die Ergebnisse der genannten Studie zum Remote-Leadership. Negative Veränderungen sahen die 249 befragten Führungskräfte vor allem in folgenden Bereichen:
- 75 Prozent: Teambuilding
- 67 Prozent: Onboarding
- 44 Prozent: Vertrauen der Mitarbeitenden
- 39 Prozent: Kommunikation mit den Mitarbeitenden
- 39 Prozent: Feedback
- 38 Prozent: Konflikte im Team
Die Studie zeigt eindrücklich, was vielen Managern bereits klar ist: Die größten Herausforderungen warten im People-Management auf sie.
Dennoch überwiegen die positiven Aspekte. So macht die Studie auch deutlich, dass mit rund 60 bzw. 66 Prozent ein großer Anteil der Vorgesetzten ihren Mitarbeitern mehr Vertrauen entgegenbringt und ihnen mehr Eigenständigkeit zugesteht. Währenddessen rücken Instrumente zur Messung der individuellen Leistung in den Hintergrund – vertrauensbasierte Führung heiß das Zauberwort.
Transformation der Führung: Freiraum, Kreativität und Selbstbestimmung
Die Herausforderungen an sich können Führungskräfte nicht verändern – wohl aber die Art und Weise, wie sie damit umgehen. Sie sind jetzt gefragt, über sich selbst hinauszuwachsen, neue Strategien zu erarbeiten und veränderte Führungsqualitäten zu erwerben.
Der klassische autoritäre Führungsstil ist längst überholt und auch das zuletzt eher kooperativ und zugleich Performance-orientierte Leading funktioniert in hybriden Umfeldern nur noch begrenzt. Führungskräfte sind jetzt gezwungen, ihre Komfortzone zu verlassen. Erfolgreiche hybride Arbeit erfordert noch viel mehr Freiraum, als es bislang üblich war. Arbeitnehmer wollen selbst bestimmen, wann und wo sie arbeiten, um ihre individuelle Leistungskurve optimal auszunutzen. Zugleich gewinnen sie so die Möglichkeit, ihr Privatleben mit dem Beruf optimal zu vereinen.
Vorgesetzte müssen daher lernen, loszulassen. Das haben viele bereits erkannt. So dürfen 28 Prozent der Arbeitnehmer eigenverantwortlich entscheiden, wann und wie oft sie im Homeoffice arbeiten wollen. Starkes Performance-Management wird immer weniger eingesetzt. Während individuelle Zielvereinbarungen vor der Pandemie für rund drei Viertel der Führungskräfte das Führungsinstrument Nummer 1 waren, ist dies jetzt nur noch bei knapp der Hälfte der Fall.
Geht die Performance zulasten der Gesundheit?
Schon lange munkelt man, dass die einst gefürchtete Arbeit im Homeoffice zum Performance-Sieger aufsteigen könnte. Die Studie zeigt: Fast jede zweite Führungskraft stellt seit der Pandemie nicht nur eine gleichbleibende, sondern sogar eine gestiegene Performance und Produktivität fest.
Leider scheint sich diese Entwicklung auf die Gesundheit von Führungskräften und Mitarbeitenden auszuwirken. Sie fühlen sich mit der schnellen Einführung von Remote Work in vielen Fällen überfordert, verspüren zunehmend Erschöpfung und Überarbeitung. Fast jede zweite Führungskraft macht mehr Überstunden als vor der Krise, um der Sandwich-Position zwischen den fordernden Mitarbeitenden und der Geschäftsführung gerecht zu werden. Dabei vergessen sie mehr und mehr ihre eigenen Bedürfnisse.
Während die Leistung der Beschäftigten steigt, wächst auch ihre Erschöpfung an. Mehr als jede zweite Führungskraft beobachtet dies bei ihren Mitarbeitenden. Die Fehlzeiten gehen zurück (36 Prozent), Überstunden sind bei fast jedem zweiten Arbeitnehmenden an der Tagesordnung. Die Studie spricht von virtuellem Präsentismus: Mitarbeitende lassen sich mitunter seltener krankschreiben bei Erkrankungen, mit denen sie im Homeoffice (vermeintlich) arbeiten können, nicht jedoch ins Büro gehen würden. Auch hier sind wiederum Führungskräfte gefragt, die ein wachsames Auge auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden haben und darauf achten, dass die Work-Life-Balance weiterhin einen ausreichend hohen Stellenwert erhält.
Wie kann nun ein erfolgreicher hybrider Führungsstil aussehen?
Den einen richtigen Ansatz gibt es nicht. Hybride Führung muss sich flexibel an jene Situation anpassen, die gerade im Unternehmen vorherrscht. Folgende Ansätze können Vorgesetzten helfen, in dieser Zeit des Umbruchs die Zügel in der Hand zu behalten und ihren Mitarbeitenden zugleich den erwünschten Freiraum zu bieten:
- Vorbildfunktion: Der Manager geht mit gutem Beispiel voran. Das gilt besonders für den Bereich Selfcare. Eine völlig überarbeitete Führungskraft kurz vor dem Burn-out ist wenig überzeugend, wenn es um die Gesundheit der Mitarbeiter geht.
- Konflikte: Konflikte offen und so frühzeitig wie möglich anzusprechen, ist in hybriden Teams umso wichtiger. Führungskräfte benötigen feine Antennen für Dissonanzen, die in einer von Messengern und persönlicher Abwesenheit geprägten Atmosphäre leicht übersehen werden und sich zu großen Konflikten auswachsen können.
- Gespür für gelebte Gerechtigkeit: Einfach aufgrund der persönlichen Nähe ist der Mensch dazu geneigt, Personen in seiner Nähe zu bevorzugen. Führungskräfte sollten am besten durch eine sachliche Sicht auf die Dinge dafür sorgen, Remote Worker ebenso zu behandeln wie Präsenzmitarbeiter.
- Kommunikationsfluss: Wer im Büro ist, bekommt mehr mit – das ist Fakt. Manager sollten sicherstellen, dass wichtige Informationen alle Mitarbeitenden erreichen, auch wenn sie gerade im Homeoffice arbeiten.
- Sicherer Rahmen: Flexible Arbeitszeiten und -orte können auch zur Verunsicherung führen. Manche Mitarbeitenden benötigen gerade einen festen, sicheren Rahmen, um sich wohlzufühlen. Diesen sollte der Vorgesetzte auch in Zeiten mit mehr Freiheiten anbieten. Hier wird ganz deutlich: Der richtige Führungsstil sieht mitunter für jeden Arbeitnehmenden anders aus.
- Förderung von Beziehungen: Erschwert die Distanz persönliche Beziehungen, sollte der Führungsstil diese gezielt fördern. Beispielsweise indem die Führungskraft Gelegenheit zu Dialogen gibt, für Inspirationen sorgt, interaktive Formate einführt oder auch einen informellen Austausch anregt.
Eines ist schon heute klar: Hybride Strukturen werden im New-Normal-Umfeld bleiben. Führungskräfte sollten sich deshalb an die neuen Anforderungen anpassen, neue Fähigkeiten erwerben und hart daran arbeiten, ihr Team zusammenzuhalten und die Motivation und Gesundheit der Mitarbeitenden zu fördern. Hybride Führung ist kein Selbstläufer, sondern erfordert jeden Tag den Mut, Altbewährtes zu hinterfragen und neue Wege einzuschlagen.
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