Digitalisierung und demografischer Wandel sind nur einige Ursachen für zunehmende Fachkräfteengpässe in bestimmten Berufen und Regionen. Immer mehr Unternehmen konkurrieren um gut ausgebildete Fachkräfte, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Fachkräftemangel bleibt nicht ohne Folgen, doch Arbeitgeber können Maßnahmen ergreifen und negative Effekte frühzeitig abfedern.
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Definition: Gibt es wirklich einen Fachkräftemangel?
Auf dem Arbeitsmarkt suchen Arbeitgeber, die freie Stellen in ihrem Betrieb besetzen möchten, nach Arbeitskräften. Arbeitnehmende wiederum bieten auf dem Arbeitsmarkt ihre Arbeitskraft an. Im Idealfall sind Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ausgewogen, sodass Unternehmen Vakanzen erfolgreich durch neue Mitarbeiter besetzen können.
Gibt es über einen längeren Zeitraum jedoch mehr ausgeschriebene Stellen, für die keine Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, ist von einem Arbeitskräftemangel die Rede. Unter Arbeitskräften sind alle arbeitsfähigen Personen zu verstehen, unabhängig davon, welche Qualifikationen sie mitbringen.
Davon abzugrenzen ist der Fachkräftemangel, der sich aus einem Fachkräfteengpass entwickelt und bei dem die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften über eine größere Zeitspanne nicht ausreichend gedeckt ist. Als Fachkräfte werden Arbeitnehmende bezeichnet, die mindestens eine zweijährige Berufsausbildung oder eine anerkannte akademische Ausbildung haben.
Bei einem Fachkräftemangel melden sich auf eine ausgeschriebene Position nur wenige Bewerber mit geeigneten Kenntnissen und Fähigkeiten, sodass sich die Besetzungszeit entsprechend verlängert. In Deutschland ist bereits seit einigen Jahren ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften deutlich.
Allerdings spricht die Bundesagentur für Arbeit (BA) bisher nicht von einem flächendeckenden bzw. umfassenden Fachkräftemangel, sondern von „vereinzelten Engpässen“. Der Mangel an gut ausgebildeten Arbeitnehmenden betrifft derzeit vorwiegend bestimmte Regionen und Berufsgruppen. Dort kämpfen alle Unternehmen in einem „War of Talents“ um geeignete Kandidaten.
Ursachen für Fachkräfteengpässe in Deutschland
Hauptursache für einen Fachkräftemangel ist der demografische Wandel, das heißt die Zahl der älteren Menschen steigt und die Zahl der jüngeren Bevölkerung sinkt. In Deutschland liegt die Sterberate bereits seit 1973 über der Geburtenrate.
Neben diesen beiden demografischen Komponenten ist der Wanderungssaldo ausschlaggebend, das ist die Differenz zwischen Zu- und Fortzügen nach bzw. aus Deutschland. Demografen gehen davon aus, dass die Bevölkerung künftig nicht mehr so stark schrumpfen wird. Allerdings nimmt der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter weiter ab und damit sinkt auch die Zahl der nachkommenden Fachkräfte.
Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass die Fachkräftelücke im Jahr 2040 auf 8,7 Millionen steigt. Neben dem demografischen Wandel können eine hohe Abwanderungsquote aus Unternehmen oder ins Ausland sowie schlechte Bildungsstandards ursächlich für einen Fachkräftemangel sein. Im letzteren Fall kann es dann zu einem sogenannten Mismatch, einer Fehlanpassung, kommen. Dies ist der Fall, wenn etwa die Kenntnisse und Fähigkeiten von Arbeitslosen nicht mit den benötigten Qualifikationen von potenziellen Arbeitgebern übereinstimmen.
Auch die zunehmende Digitalisierung, technologische Entwicklung und die Automatisierung von Arbeitsprozessen etwa durch den Einsatz von Robotik können dazu führen, dass einige Berufe Bedeutungsverluste erleiden. Dafür entstehen neue Verantwortungsbereiche, für die komplexes Fachwissen erforderlich ist. Problematisch ist das jedoch, wenn es an verfügbaren, hoch qualifizierten Fachkräften fehlt.
In welchen Branchen gib es Fachkräftemangel?
Die Agentur für Arbeit veröffentlicht jährlich eine Engpassanalyse, in der sie Fachkräfteengpässe in bestimmten Branchen und Regionen ermittelt. In einigen Bereichen ist der Mangel an qualifizierten Fachkräften bereits seit mehreren Jahren deutlich spürbar.
In der aktuellen Engpassanalyse von 2021 hat die BA für insgesamt 148 Berufsgattungen Engpässe ermittelt. Demnach besteht für 72 Berufsgruppen auf dem Anforderungsniveau Fachkraft und für 41 Berufe auf Anforderungsniveau Spezialist bzw. Experte ein Fachkräfteengpass. Besonders betroffen sind folgende Bereiche:
Fachkräfte
- Pflegeberufe
- medizinische und nichtmedizinische Gesundheitsberufe
- Handwerk
- Bau
- IT
Spezialisten und Experten
- Ärzte
- Lehrkräfte in der Sekundarstufe
- Kinderbetreuung und -erziehung
- Physio-, Ergo- und Sprachtherapie
- Apotheker und Pharmazeuten
- Rechtsanwälte
- Finanzanalysten
- Bauelektronik
- Elektrotechnik
- Softwareentwicklung
- Informations- und Kommunikationstechnik
- Bauplanung und -überwachung
- Aufsichtskräfte (Meister) in Handwerksberufen, z.B. Hoch- und Tiefbau, Klempner, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik
Zusammenfassend lässt sich von einem Fachkräftemangel in Pflege, Medizin, Handwerk, den technischen und allen sogenannten MINT-Berufen, das heißt Mathematik-, Ingenieur-, Naturwissenschaften und Technik, ausgehen, für die höhere Studien- und Fortbildungsabschlüsse erforderlich sind.
Ferner sind deutliche regionale Unterschiede auszumachen. Stadtstaaten sowie die nördlichen und westlichen Bundesländer leiden deutlich weniger unter einem Fachkräftemangel als südliche Bundesländer, vor allem Bayern und Baden-Württemberg. Ein ausgeprägter Mangel an Nachwuchskräften lässt sich hierbei vor allem in ländlichen Regionen ausmachen.
Was sind die Folgen eines Fachkräftemangels für Unternehmen?
Humankapital, das heißt Arbeitnehmende, die auf dem Arbeitsmarkt ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, sind die wichtigste Ressource nicht nur für Unternehmen, sondern für die gesamte Volkswirtschaft. Bleiben Ausbildungsstellen, Schlüssel- und Führungspositionen unbesetzt, kann sich das nachhaltig auf die gesamte Wirtschaft, ihre Industrie und das künftige Wirtschaftswachstum auswirken.
Dem aktuellen Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer von 2021 zufolge, erwarten 85 Prozent der Betriebe aufgrund von Fachkräfteengpässen negative Effekte. Zu den Bereichen, in denen gravierende Auswirkungen durch fehlendes Personal befürchtet werden, zählen unter anderem das Baugewerbe, die Industrie, Dienstleistungsbranchen und der Handel.
Aufgrund der demografischen Entwicklungen und der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft dürfte sich künftig zudem die Fachkräftesituation im Pflege- und Gesundheitssektor verschärfen. Zu den Folgen von Fachkräfteengpässen und Fachkräftemangel gehören unter anderem:
- erhöhte Vakanzzeiten, das heißt, es vergeht mehr Zeit zwischen der Ausschreibung und Besetzung einer Stelle
- Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt
- Mehrbelastung der vorhandenen Belegschaft, die zeitweise zusätzliche Arbeiten übernimmt
- Unternehmen müssen Produktion bzw. Dienstleistungsangebot einschränken oder auf Aufträge verzichten
- steigende Kosten, um Fachkräfte zu gewinnen oder bestehendes Personal zu binden, z.B. durch die Zahlung attraktiver Gehälter, Maßnahmen zur Stärkung des Employer Brandings, Weiterbildungsangebote oder Gesundheitsförderung
- Verlust der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit u.a. im internationalen Vergleich, betroffen sind v.a. die Kfz- und IT-Branche, Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten, Medizintechnik
Mögliche Maßnahmen im Kampf gegen Fachkräfteengpässe
Die Bundesregierung hat bereits im Juni 2011 ein Konzept zur Fachkräftesicherung beschlossen, das fünf Sicherungspfade umfasst, um den künftigen Fachkräftebedarf zu sichern. Dazu zählen
- bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, z.B. durch den Ausbau von Betreuungsangeboten
- Bildungschancen für alle, z.B. durch die frühkindliche Bildung
- Aktivierung und Beschäftigungssicherung, d.h. Arbeitslose in den Arbeitsmarkt integrieren, Qualifizierungsmaßnahmen für den ersten Arbeitsmarkt, Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bzw. ältere Arbeitnehmende dazu motivieren, länger zu arbeiten
- qualifizierende Aus- und Weiterbildungen, z.B. die Vermittlung von digitalen Kompetenzen im Rahmen der „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
- qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen und integrieren, z.B. durch die bessere Anerkennung von ausländischen Schul- und Berufsabschlüssen
Darüber hinaus können Arbeitgeber gezielt Maßnahmen ergreifen, um Fachkräfteengpässe im Unternehmen anzugehen. Mögliche Ansätze sind zum Beispiel:
- die Qualifizierung der eigenen Fachkräfte durch Aus- und Weiterbildungen
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern, z.B. durch flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice
- Recruiting über die Region des Standortes hinaus, z.B. durch e-Recruiting in den sozialen Netzwerken
- Attraktivität als Arbeitgeber und Bekanntheit stärken durch die Entwicklung einer Employer-Branding-Strategie
- Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung, z.B. mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, betrieblicher Gesundheitsförderung, Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten oder Benefits wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld
- Fachkräfte aus dem Ausland anwerben