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25/11/2024
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Die Entgelttransparenzrichtlinie – Müssen Arbeitgebende jetzt alle Gehälter offenlegen?

Am 6. Juni 2023 ist die neue Entgelttransparenzrichtlinie der Europäischen Union (RL (EU) 2023/970) in Kraft getreten. Durch eine Reihe neuer Transparenzvorgaben an Arbeitgebende möchte der europäische Gesetzgeber eine Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher und gleichwertiger Arbeit für Männer und Frauen erreichen. Welche wichtigen Neuerungen die Entgelttransparenzrichtlinie mit sich bringt und was diese für Arbeitgebende bedeuten, erklärt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Nils Wigger von der Kanzlei Wittig Ünalp.

Die Herstellung von Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in Sachen Arbeitsentgelt ist ein dem europäischen Gesetzgeber wichtiges Anliegen. Mit dem Entgelttransparenzgesetz (EntGTranspG) existiert in Deutschland bereits ein Gesetz, das die Durchsetzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts fördern soll.

Durch die neue Richtlinie ist nun bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist am 7. Juni 2026 eine weitere Verschärfung der von Arbeitgebenden einzuhaltenden Gleichheits- und Transparenzvorschriften zu erwarten. Der deutsche Gesetzgeber muss zur Umsetzung der Richtlinie die Vorgaben in die deutschen Gesetze übertragen.

Gilt die Entgelttransparenzrichtlinie für alle Arbeitgebenden?

Die Entgelttransparenzrichtlinie gilt für alle Arbeitgebenden sowie alle Arbeitnehmenden im öffentlichen und privaten Sektor. „Entgelt“ im Sinne der Richtlinie sind neben dem üblichen Grund- oder Mindestlohn auch alle sonstigen Vergütungen, die Arbeitgebende ihren Beschäftigten als Geld- oder Sachleistungen zahlen. Erfasst sind mithin auch variable Vergütungsbestandteile wie Provisionen, Überstundenzuschläge und sonstige Zuschüsse.

Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit

Gleiches Entgelt für gleiche ArbeitDurch die Richtlinie werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass Arbeitgebende über Vergütungsstrukturen verfügen, durch die gleiches Entgelt für die Arbeitnehmenden bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gewährleistet wird.

Solche Vergütungsstrukturen müssen es künftig ermöglichen, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien beurteilt werden kann, ob sich die Arbeitnehmenden im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden.

Die Kriterien sind dabei: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung, Arbeitsbedingungen und sonstige Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind.

Gehaltsangaben in Stellenanzeigen verpflichtend

Stellenbewerbende haben zukünftig das Recht, von ihrem potenziellen Arbeitgebenden vorab und transparent Informationen über das Einstiegsgehalt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne zu erhalten.

Entsprechende Informationen sind von Arbeitgebenden in einer Weise bereitzustellen, dass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden, etwa in einer veröffentlichten Stellenausschreibung oder vor dem Vorstellungsgespräch.

Arbeitgebende sind demnach künftig verpflichtet, die Höhe der von ihnen gezahlten Einstiegsgehälter gegenüber (potenziellen) Stellenbewerbenden proaktiv offen zu legen, bevor ein Bewerbungsgespräch überhaupt stattgefunden hat.

Arbeitgebende müssen Kriterien für das Entgelt und die Entgeltentwicklung offenlegen

Arbeitgebende müssen zudem ihren Arbeitnehmenden in leicht zugänglicher Weise Informationen darüber zur Verfügung stellen, welche Kriterien sie für die Festlegung der Entgelte der Arbeitnehmenden, ihrer Entgelthöhe und ihrer Entgeltentwicklung verwenden. Diese Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein.

Die Mitgliedstaaten können jedoch Arbeitgebende mit weniger als 50 Arbeitnehmenden von den Pflichten ausnehmen. Ob Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, bleibt abzuwarten.

Auskunftsrecht der Arbeitnehmenden über Gehälter vergleichbarer Arbeitnehmender

Vergleichbare GehälterDie Richtlinie begründet ein umfassendes Auskunftsrecht für Arbeitnehmende über die individuelle und durchschnittliche Entgelthöhe. Entsprechende Informationen sind Arbeitnehmenden schriftlich zu erteilen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppen von Arbeitnehmenden, die gleiche oder gleichwertige Arbeit wie sie verrichten.

Zusätzlich müssen Arbeitgebende alle Arbeitnehmenden jährlich über das Auskunftsrecht als solches und alle Schritte, die zur Ausübung des Rechts notwendig sind, informieren.

Nach der Richtlinie ist es zudem nicht mehr zulässig, Arbeitnehmende – etwa durch entsprechende arbeitsvertragliche Vereinbarungen – daran zu hindern, ihr Entgelt gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber Arbeitskollegen, offenzulegen, um den Grundsatz des gleichen Entgelts durchzusetzen.

Berichtspflicht der Arbeitgebenden über das Entgeltgefälle

Arbeitgebende mit mehr als 100 Arbeitnehmenden sind künftig verpflichtet, Informationen über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle auf ihrer Website oder auf andere Weise öffentlich zur Verfügung zu stellen. Abhängig von der Anzahl an Arbeitnehmenden sind die Informationen bis zum 7. Juni 2027 bzw. 7. Juni 2031 und danach jedes Jahr bzw. alle drei Jahre für das vorangehende Kalenderjahr vorzulegen.

Zusätzlich können die Arbeitnehmenden, die Arbeitnehmervertretenden, die Arbeitsaufsichtsbehörde und die Gleichbehandlungsstellen von den Arbeitgebenden Klarstellungen und Einzelheiten zu den bereitgestellten Daten verlangen.

Auch Arbeitgebende mit weniger als 100 Beschäftigten können durch die Mitgliedstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts verpflichtet werden, entsprechende Informationen über das Entgelt vorzulegen. Ob Deutschland auch von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, bleibt abzuwarten.

Schadensersatz und Entschädigungsansprüche

Transparente GehälterNeben den oben aufgeführten Vorgaben enthält die Entgelttransparenzrichtlinie eine Reihe von Bestimmungen, die die effektive Durchsetzung der Transparenzvorschriften gewährleisten sollen:

Verstoßen Arbeitgebende gegen die Bestimmungen der Entgelttransparenzrichtlinie, steht dem dadurch geschädigten Arbeitnehmenden nach Art. 16 der Richtlinie ein Anspruch auf vollständigen Schadensersatz oder Entschädigung zu. Arbeitgebende müssen insbesondere entgangene Entgelte samt Verzugszinsen sowie immaterielle Schäden ersetzen.

Ferner können Arbeitgebende, die gegen Vorgaben mit Bezug zum Grundsatz des gleichen Entgelts verstoßen, künftig unter Zwangsgeldandrohung behördlich oder gerichtlich zur Unterlassung des Verstoßes und zur Ergreifung von Maßnahmen zur Sicherstellung der Erfüllung des Grundsatzes des gleichen Entgelts verpflichtet werden.

Des Weiteren verlagert die Entgelttransparenzrichtlinie die Beweislast für das (Nicht-)Vorliegen einer Entgeltdiskriminierung auf die Arbeitgebenden. Arbeitgebende müssen im Streitfall nachweisen, dass eine unmittelbare oder mittelbare Entgeltdiskriminierung nicht vorliegt, sofern Arbeitnehmende Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer solchen Diskriminierung vermuten lassen.

Schließlich verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Schaffung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen, die bei Verletzungen der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts zu verhängen sind. Dazu gehören insbesondere Geldbußen, die gemäß dem nationalen Recht festzusetzen sind.

Fazit

Die Entgelttransparenzrichtlinie bedeutet eine deutliche Verschärfung der Anforderungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Vergütungssystem. Arbeitgebende müssen daher erhebliche Einschränkungen bei der individuellen Entgeltgestaltung und erheblichen bürokratischem Mehraufwand in Kauf nehmen.

Es ist den Arbeitgebenden daher anzuraten, sich so früh wie möglich mit den neuen Transparenzanforderungen auseinanderzusetzen und die eigenen Entgeltsysteme bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist am 7. Juni 2026 entsprechend anzupassen.

Ferner sollten alle Arbeitgebende schon jetzt für die Erfüllung ihrer künftigen Auskunfts- und Berichterstattungspflicht die erforderlichen Informationen sammeln und aufbereiten, vorhandene Verschwiegenheitsverpflichtungen über das Entgelt in ihren Arbeitsverträgen anpassen und – soweit möglich – zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einer Vergleichsgruppe bestehende Lohnunterschiede von mindestens 5 % beseitigen, um der Pflicht zur Durchführung einer gemeinsamen Entgeltbewertung zu entgehen.

Nils Wigger

Über den Autor: Nils Wigger berät und vertritt als Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Wittig Ünalp Arbeitgeber bei sämtlichen individual- und kollektivrechtlichen Themen.

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